Kitty Cai Allegro
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07 Mar
07Mar

Der Duft von langsam gebratenem Lamm erfüllt die Luft und vermischt sich mit dem schwachen Duft von Osmanthuswein. Eine sanfte Melodie ertönt durch den grossen Saal, während sich seidene Tänzer anmutig im Schein hängender Laternen bewegen. Ein Kellner in bestickter Robe verbeugt sich leicht, bevor er eine goldene Platte vor Ihnen abstellt, auf der gedämpfte Krabben mit gereiftem Shaoxing-Wein serviert werden – eine Delikatesse, die einst Kaisern vorbehalten war. Für einen flüchtigen Moment verstummt das Summen der modernen Welt und Sie sind nicht länger ein Besucher, sondern ein edler Gast bei einem üppigen Bankett aus vergangenen Jahrhunderten. 

Dies ist das in China sehr beliebte immersive Essen, eine nahtlose Mischung aus Geschichte, Gastronomie und Geschichtenerzählen, bei der eine Mahlzeit zu einem Portal in eine andere Epoche wird. Von den opulenten Festmahlen der Tang-Dynastie bis hin zu den geschäftigen Straßenmärkten der Song-Dynastie bieten diese Erlebnisse mehr als nur Aromen, sie erwecken vergessene Traditionen und nehmen alle Sinne mit auf eine Zeitreise. 

Treten Sie ein in das Grosse Tang-Bankett in Xi'an, und die Verwandlung beginnt, noch bevor das erste Gericht serviert wird. Fließende Gewänder fallen über Ihre Schultern, während Sie eine Palasthalle bei Kerzenschein betreten, deren vergoldete Wandschirme mit Fabelwesen geschmückt sind. Das Festmahl entfaltet sich langsam und spiegelt die Rituale des kaiserlichen Hofes wider: saftiges Spanferkel, zarte Lotuswurzeln in Honigglasur, delikates Gebäck, gefüllt mit nach Rosen duftender Bohnenpaste. Zwischen den Gängen erweckt eine faszinierende Tanzvorführung die Eleganz der Tang-Dynastie zum Leben, wenn schimmernde Seidenärmel wie Wellen im Schein der Laternen tanzen. Jeder Schluck des gereiften Pflaumenweins, jeder Bissen der goldgelben knusprigen Ente ist ein Geschmack einer längst vergangenen Welt, die dennoch unglaublich lebendig ist. 

Für diejenigen, die etwas suchen, das mehr im Alltag verankert ist, bietet der Nachtmarkt der Song-Dynastie eine andere Art des Eintauchens. Die Luft ist erfüllt vom Duft brutzelnder Spieße und frisch gedämpfter Brötchen. Von Laternen beleuchtete Stände säumen die gepflasterten Straßen, jeder Verkäufer ruft die Spezialitäten des Abends aus, Bettlerhühnchen in Lotusblättern gewickelt, Schüsseln mit handgezogenen Nudeln, die in duftendem Frühlingszwiebelöl glitzern. Ein Geschichtenerzähler versammelt eine kleine Menschenmenge um sich, seine Stimme hebt und senkt sich, während er alte Volksmärchen erzählt. In der Nähe bereitet ein Teemeister ein delikates Gebräu zu, dessen Dampf sich in die Nachtluft schlängelt. Im Gegensatz zur Pracht kaiserlicher Feste liegt der Reiz hier in der rohen Energie, dem Gelächter, der Wärme und der mühelosen Art und Weise, wie sich Geschichte in den Alltag einwebt. 

Doch beim kulinarischen Erlebnis in China geht es nicht nur darum, antike Szenen nachzustellen, sondern auch darum, das kulinarische Erbe zu feiern. Bei Silk Road Banquets begeben sich die Gäste auf eine Reise über Tausende von Kilometern und folgen der legendären Handelsroute, die einst Ost und West verband. Jeder Gang offenbart eine neue Geschichte, eine Platte mit Samsa mit goldener Kruste aus Zentralasien, ein duftender, persisch inspirierter Lammeintopf, zarte, handgezogene Nudeln, die an die erinnern, die Marco Polo einst kennengelernt hat. Unter einer Decke, die wie ein Wüstenhimmel bemalt ist, umgeben von Wandgemälden von Kamelkarawanen und Gewürzhändlern, kosten die Gäste die Verschmelzung von Kulturen, die eine Zivilisation geprägt haben. In einem Land, in dem Essen schon immer mehr als nur Nahrung war, bieten diese Erlebnisse etwas, das über die Aromen selbst hinausgeht. Sie sind eine Möglichkeit, durch den Geschmack eine Zeitreise zu unternehmen und eine Kultur nicht nur durch ihre Geschichtsbücher, sondern auch durch ihre Mahlzeiten, ihre Rituale und ihre unausgesprochenen Traditionen zu verstehen.

Man kann es fast hören, das ferne Echo von raschelnder Seide, das leise Murmeln eines Geschichtenerzählers, der von Kaisern und Wanderern berichtet, das Klirren von Porzellantassen, die mit duftendem Tee gefüllt sind. Vielleicht nimmt irgendwo in der Schweiz, hinter einem unscheinbaren Holztor, eine andere Art von Festmahl in aller Stille Gestalt an. Der Schein von Laternen flackert in der Nacht, ein Tisch ist mit Geschirr gedeckt, das die Last von Jahrhunderten trägt, und in Kupfertöpfen brodeln aromatische Brühen. Hier wird Geschichte nicht gelesen, sondern geschmeckt, nicht erinnert, sondern neu erlebt. Und für diejenigen, die durch die Türen treten, beginnt eine Reise durch die kulinarische Vergangenheit Chinas.


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